40. Wandertag

Ann-Catherine ist auch echt 'ne Granate. Jedes Mal, wenn ich mich mit ihr unterhalte, muss ich jeden Satz zweimal sagen. Da könnt ich sie manchmal echt für erwürgen. Als ich hier hergekommen bin, dachte ich eigentlich, ich hätte keine größeren Probleme. Aber da ist unbestreitbar eines vorhanden, welches ich auch vorher schon wahrgenommen hatte, aber im Alltag fast keine Relevanz hatte: Ich habe große Probleme, über dieses Ding da, was die Frauen so mögen und was sich »Gefühle« nennt, zu sprechen. Gegenüber Sam, denn egal, wie sie sich verhält, ich mag sie einfach. Und dann Ann-Catherine beim Abendessen gestern: »I also do this, because I want to find a nice person.« Bam. Was für eine Offenheit. Aber ich weiß, dass du nicht immer so ruhig sein kannst, wie gerade jetzt. Jedenfalls möchte ich jetzt mal langsam über meine Gefühle reden. Erstens, weil ich will. Aber vielleicht auch, weil es für mich so unbeschreiblich schwer ist. Warum eigentlich nicht? Was hab ich auf dem Camino schon zu verlieren? Das hat, glaube ich, nichts mit Stolz oder Würde zu tun. Auch, wenn das awkward sein kann. Versuchen kann man es doch mal.


Ich sitze bei einem Bier in Azofra und versuche, das Leben zu genießen. Es hat sich richtig angefühlt, sich ein bisschen zu öffnen. Und nun wünsche ich mir angenehme Gesellschaft von Ann-Catherine. Mit der man Bier trinken und lachen kann. Den langen Peter (1 Schachtel Kippen am Tag) werd ich wohl nicht wiedersehen. Dem hab ich mit der Kirchen-Albergue in Granon 'nen Floh ins Ohr gesetzt. Der lange Peter. Hoffe, er findet wie ich, was er sucht. Aber ich werd mich immer an das Kippchen erinnern, das er mir gegeben hat und das ich 2 Tage hinter dem rechten Ohr getragen hab, bis es ganz nass war von meinem Ohrenschweiß. Ich bin auch richtig in Rückstand geraten, Facebook und Whatsapp zu beantworten. Französisch ist grad auch eher Frust als Lust. Eieiei, ich spür das Bier schon in der Birne, während ich hier sitze. Hoffentlich wird das gut gehen. Immerhin 27 Grad hier, ohne Wolken, ohne Schatten. Aber ich hab wieder Gefallen am Schreiben und kann wieder klare Gedanken fassen. Vielleicht sollte ich dieses »Ich-öffne-mich-anderen-Personen« öfters betreiben.


Ich sitze hier im Waschsalon mit Ann-Catherine. We are »pleuning« again. But I guess, that's alright.


Es ist ein verrücktes Gefühl, dass man sich so übermächtig fühlt. Trotz der Bettwanzen. Irgendwie ist alles hippie-mäßig, alles scheiß-egal. Nach mir die Sintflut. Alles, was anti-pleun-mäßig daherkommt, ist gut und gesund für mich. Klar nervt Ann-Catherine manchmal. Aber irgendwie hat sie auch was. Halt mega-lustig, dass wir beide in dieselbe Frau verschossen sind und »pleuning« betreiben. Pleun also known as Sam. Aber auch sehr befreiend, dass wir unsere Sorgen teilen konnten. Von mir aus bin ich in diesem Spiel gern der Verlierer. Und ich würd es Ann-Catherine natürlich gönnen. Und ich hätte endlich den Frieden, den ich mir wünsche. Heut Abend dann mit Ann-Catherine kochen und dann mal gucken, wie hoch der Pleun-Faktor sein wird. Mir ist alles im ekstatischen Sinne völlig scheiß-egal. Das Gefühl wird nicht ewig halten. Aber für heute bin ich immerhin ein Sieger. Und ich hab meine ganze Wäsche endlich in den Trockner gesteckt und hab das Gefühl, bettwanzenmäßig kann ich was ausrichten.

 

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