22. Wandertag

Auf dem Weg von Marsolan nach Condome. Ich latsch hier immer noch durch die Gegend rum. Ohne Ziel. Weiß gar nicht, warum ich überhaupt nach Santiago will. Aber aufgeben werd ich auch nicht. Bzw. der Gedanke ist gar nicht da. Es gibt verschiedene Abstufungen von »scheiße« und so scheiße ist es dann doch noch nicht. Genauso der Regen. Man lernt die verschiedenen Abstufungen kennen. Heute auch stundenlang gepladdert. Aber nicht sturzflutartig. Das Innere der Schuhe ist trocken geblieben und der Untergrund war zwar matschig, aber nicht gefährlich. Das sah vor ein paar Tagen schon anders aus. Da stand die Suppe in den Schuhen und man hat schon gegrübelt, was das französische Wort für »Zeitung« ist. Abends muss man die Dinger dann ja (idealerweise 2 Mal) ausstopfen. Und der Untergrund war einfach nur gefährlich beim Auf- und Abstieg. Da setzt sich eine zentimeterdicke Schlammschicht auf der Sohle fest. Null Grip und man trägt gleich zwei Kilo Schlamm mehr mit. Heut mittag gab's dann Prinzenrolle. Das alte Spiel. Obersten Keks abschichten und dann die Schokofüllung mit den Vorderzähnen abschaben, sodass man nur noch Schokolade im Mund hat. Ansonsten gefällt mir das französische Buch so gut, dass ich mir in Condome auch noch den 2. Teil kaufen will. Wegzehrung für Spanien. Immer, wenn ich jetzt nicht gut drauf bin, reck ich die Hände in die Höhe und mach den Mickey-Maus-Gruß. Sorgt jedesmal bei mir für Heiterkeit. Naja, ich latsch erst mal weiter. Vermutlich war meine Erwartung an diesen Weg riesengroß. Da muss auch immer ganz viel zusammenkommen. Vielleicht wird's am Ende auch nur ein Griff ins Klo sein. Dann heißt es: Mund abwischen und weitermachen. Was weiß denn ich schon?


Also ich sach mal so: Wenn bei meiner Hochzeit irgendjemand mein Trauzeuge wäre, dann ist das mein Bruder.


Das passt schon alles. Vielleicht nicht genau so, wie ich mir das vorstelle. Aber irgendwas wird immer passieren.


Ich werd alles durchstehen, was auch immer da kommen mag. Mag da Hitze, Regen oder Schnee auf mich warten. Wind oder Flaute. Allein oder zusammen. Mit Wut oder mit Trauer. Mit Freude, mit Hoffnungslosigkeit, mit Schwermut, mit Freunden, mit Fremden. Ich werd alles aufhalten, was da kommt. Ich werd den Himmel erhellen und die Sterne verdunkeln. Ich werde Berge versetzen und die Bäume zum Wachsen bringen. Ich werde alles und jedem standhalten. Selbst der Verzweiflung. Schmeiß mir alles vor die Füße, was du hast, Herr. Lass mich hartes Brot essen, Durst erleiden und verzweifeln. Schrei mir alles entgegen und lass mich für jede meiner Taten Buße tun. Und ich sage dir: Ich werde Santiago erreichen, auch wenn dort nichts auf mich wartet. Ich werde diesen Weg gehen und jede Höhe und jede Tiefe durchschreiten. Ich werde nicht aufgeben, Herr. Mit oder ohne deine Hilfe. Und wenn ich auf allen Vieren krieche, ich werde diesen Weg gehen. Ich hab noch alles bezwungen und werde damit nicht aufhören.

 

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