21. Wandertag

Auf dem Weg nach Marsolan. Bitte, Herr. Heute nur eine einzige Sache. Ich will mir ein kleines französisches Buch kaufen und auf französisch lesen. Mehr will ich jetzt nicht. Einen kleinen schnuckeligen französischen Buchladen.


Gestern hab ich mich jedenfalls auf zu Hause gefreut, ohne dass das Hier und Jetzt schlecht gewesen wäre. Ich weiß gar nicht, was ich großartig aufschreiben soll. Die Gedanken wechseln tagtäglich einander ab. Ein einziges Wirrwarr. Wer soll da schon den roten Faden finden? Das Leben ist einfach so vielschichtig und alles und jeder beeinflusst alles und jeden, dass jedes niedergeschriebene Wort nur eine in jede Richtung verschiebbare Momentaufnahme ist. Ich wünsche mir jetzt zum Beispiel die Gesellschaft eines jungen, humorvollen und schönen Mädels. Ist das wirklich zu viel verlangt? Und mit jung mein ich hier alles unterhalb von 40 Jahren. Das wär hier wirklich der Diamant unter den Kohlestücken. Ach so, und ledig muss sie sein. Einfach nur unkompliziert. Und jetzt, Gott, kommst du ins Spiel. Ein Fingerschnipp und die zukünftige Mutter meiner Kinder wird vor mir erscheinen. Nun bin ich wirklich gespannt auf die Frau, die ich als nächstes treffe. Die Erwartungen sind auf ein Maximum geschraubt.


War dann doch eine Mittsechzigerin mit Brille. Jedenfalls: Lectoure, du holde Schönheit von weitem. Du hast eine Kathedrale und einen Bischofspalast. Einen schnuckeligen kleinen Buchladen bitte auch. Und es gibt auch Dinge, die ich beeinflussen kann: Ein großes, frisch gezapftes, kühles belgisches Bier für mich. Das muss drin sein, ist auch nicht zu viel verlangt.


Rechter Knöchel scheint fast ganz ausgeheilt zu sein. Ansonsten im Süd-Westen nichts Neues. Ein kleines französisches Büchlein. Ein bescheidener Wunsch. Hab gestern 2 1/2 Seiten »Orientexpress« von Agatha Christie auf französisch gelesen und es hat Spaß gemacht. Mit dem dienstbeflissenen Leutnant.


So, ich hab jetzt mein Buch (wenn auch nicht im Buchladen) gekauft und ich hab mein großes Bier (wenn auch nicht in Lectoure, sondern in Marsolan) getrunken. Alles irgendwie am Plan vorbei und doch irgendwie hingehauen. Ich freu mich schon, nach der Reise wieder nach Hause zu kommen. Hier und da brauch ich ein paar kleine Veränderungen. Aber die hab ich ja auch angestoßen. Insgesamt kann ich aber auch da weitermachen, wo ich aufgehört habe. Bei Familie und Heimat. Das wär nicht das Schlechteste.


Ach Gott, ich vermisse meine beiden Kanadier. Die Erinnerung an beide zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Hab grad eine ganze gîte mit formidabler Küche für mich alleine. In den Chambres d'Hôtes haben sich vier Pariserinnen einquartiert, die sich noch aus Schulzeiten kennen. Gehen seit 2015 jedes Jahr eine Woche den Jakobsweg. Muss man auch erst mal hinkriegen. Scheinen es faustdick hinter den Ohren zu haben. Nun sitz ich hier nach 'ner halben Flasche Wein und bin selig. Es lebe Musik und Alkohol. Auch wenn ich grad allein bin. Ich hab im Übrigen das Gefühl, ich bin hier fetter geworden. Auch ein Unding. Wahrheit und Sinn wird heut nicht mehr gefunden. Aber eigentlich geht's mir hier gut. Tja, das war das. Ach so, das französische Buch macht richtig Spaß, zu lesen. Passiv verstehen klappt schon mal. Halt auf dem Niveau eines 11-Jährigen, aber das passt. Ansonsten grad »Fleisch ist mein Gemüse«. Der Heinzer hat aber auch geile Ausdrücke drauf. Und was noch wichtiger ist, er hat eine eigene Stimme.

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