Ein letzter nächtlicher Eintrag

Im Bett in der Albergue, bevor es nachher nach Lissabon geht. Ich bin nun mal ein Geschichtenerzähler. Und ich will den Reisebericht mit einem kurzen Höhepunkt beenden. Der war nicht hier in Muxia, sondern vor ein paar Tagen auf dem Platz vor der Kathedrale in Santiago, als ich dich, Mario, wiedergesehen habe. Ich hatte es mir wirklich gewünscht in dem Moment, als ich es hier irgendwo notierte. Ein letzter Wunsch. Wir hatten uns in Frankreich das erste Mal gesehen. Ich sage Moissac. Du sagtest Lectoure. Ich will auch noch ein paar Details über dich aufschreiben, soweit ich es noch zusammenkrieg: Du hast für einen französischen Energiekonzern gearbeitet, den Job geschmissen und dann Freiwilligendienst in Jerusalem über Jahre hinweg gemacht. Den Camino konntest du bezahlen, indem du dein Auto verkauft hattest. Wir haben uns getroffen, lass es nach 20 Wandertagen gewesen sein. Und dann haben wir uns in den 60ern wiedergesehen, auf besagtem Platz in Santiago. Die Sache ist nur die, mon ami: Du bist nicht mal wie ich den Camino Frances gegangen, sondern zunächst in Spanien den Küstenweg und dann nach links ab, Richtung Arzua, wo er sich mit dem Camino Frances wieder vereint. Von Arzua bis Santiago, das sind vermutlich gerade mal zwei Wandertage. Eine sehr kurze Zeitspanne, in der es überhaupt physisch möglich sein konnte, dass wir uns wiedersehen. Wärst du den Küstenweg ganz bis zum Ende gelaufen und wärst erst in Santiago wieder auf meinem Weg gelandet, wäre unser Wiedersehen für mich vermutlich so eine Art »Gottesbeweis« gewesen. So – mit einer Zeitspanne von 2 Tagen – war unser Treffen zwar immer noch fast unmöglich, aber eben nur fast und es bleibt bei mir – wie immer, was Gott anbelangt – ein Rest von Zweifel. Aber ich weiß noch, wie aufgekratzt ich damals auf dem Platz war. Du, diesmal ohne Brille. Ich hab dich dennoch erkannt. Und dann die Frau an deiner Seite, vielleicht deine Schwester oder ein neues Mädel. Ich hab dir in meinem gebrochenen Französisch gesagt, dass ich dich nochmal sehen wollte und wir jetzt hier stehen. Du hattest es zuerst nicht verstanden, bis die Frau es dir erklärt hatte. Ich sah es dir an, dass du es am Ende doch verstanden hattest. Du weißt vielleicht nicht, warum, aber ich wollte es dir wirklich sagen. Was ich dir nicht gesagt hab: Gott erfüllt manchmal Wünsche. Bei mir hat's sogar ziemlich oft geklappt. Du weißt vermutlich auch nicht, warum ich dir wie bescheuert grinsend die Hand geschüttelt habe. Aber ich weiß auch, dass du meine erst nach einer sehr langen Weile wieder losgelassen hast. Adieu, mon ami.

 

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