Leseprobe


Personenliste:


Graustauber:

Doktor Horatio

Sigismund, die Maschine

Jolanda, die Nadel

Schmeisser


Swarte Gaard:

Ottokar Ricken, der Fromme

Rieke Ricken, die Rothaarige

Dudziak, der Lilliput

Rempel


Sonstige:

Hubertus Annorak, Tüftler und Waffenverkäufer

Ein Pfarrer

Heike

Eine Olivetti-Schreibmaschine


 


Kapitel 1 - Schlachterlied und Bruderkrieg


Dudziak betritt als alter Mann die Bühne. Mit sich führt er ein Schlachtermesser und balanciert es leicht über den Fingern. Er nimmt Augenmaß, lässt die Klinge durch die Luft sausen und hält das Messer ausgestreckt vor sich.


DUDZIAK (als Erzähler): Seht nur dieses Messer hier,

wie es silbern tanzt in meiner Hand.

So scharf, als wäre es ein wildes Tier,

hat doch Instinkt und einen ganz eigenen Verstand.

Es sprach zu mir vor langer Zeit mit allersüßer Stimme:

Dudziak, oh Dudziak, du Großer. Kämpfe, ja erringe!

Siege wie noch nie zuvor,

und hebe deinen Lorbeerkranz empor.

Schmeiß das Lied des Schlachters in den Haufen,

lass sie bluten und das Blut dann saufen!


Langsam lässt Dudziak den Arm sinken.


DUDZIAK (als Erzähler): Es ist mein altes Leiden, an dem ich immer noch zu tragen habe.

Und wenn's auch Teil der Geschichte ist, ist es etwas anderes, was ich zu sagen wage.

Denn ich bin einer der letzten Zeugen,

die das Damals überlebten, und schworen, immer gar zu beugen,

das Haupt in Demut vor den Helden,

auch wenn sie hatten allesamt Verrücktheit zu vermelden.

Die Helden, die entschwanden in der rotgeschlachten Zeit,

die Helden, die zwar kämpften, am meisten aber gegen eig'nes Leid.

Einer war fast Doktor, auch wenn er sich schon Doktor nannte,

ein Forscherkopf, Horatio, der kein Erbarmen mit sich kannte.

Hockte unterhalb der Kirche im Dunkel wie die Laus,

forschte an der Doktorarbeit tagein und auch tagaus.

Wie ein Galeerensträfling hatte er sich eingeschlossen,

und studierte dabei unverdrossen,

in eig'nem Sud und mit fernem Ziel,

dem er des hellen Köpfchens wegen rasch verfiel.

Während er forschte an dem Stein der Weisen,

klickerten Synapsen wie geschäftige Ameisen.

Denn die Formel, die zerronn in seinen Händen,

war niemals hin zum Stein zu wenden.

Wie das Leben selbst konnt er sie weder biegen noch herunterbrechen,

und musste stattdessen selber für den Eifer zechen.

Doch er war der Anführer der Graustauber, den ganz Verrohten,

diesen Helden, manches Mal auch Vollidioten.

Die ein Teil waren in dem Bruderkrieg, der aufziehen sollte,

auch wenn der Doktor ihn eigentlich nur mit halben Herzen wollte.


Doch vorher noch zurück zu meiner eigenen Geschicht,

denn damals wie heute war ich ein einziger bescheid'ner Wicht.

Dudziak, der Lilliput, so hatte mich der Ottokar das erste Mal genannt,

und unter uns, das wusst' ich schon: Der Name war recht hirnverbrannt.

Doch was will man erwarten von den Swarten,

Märchen hatten sie in mir Exot erraten.

Aus Königsberg, in Preußen, weit entfernt,

dort hatte ich die Fleischerei gelernt.

Ganz wie die geschätzten Väter,

mit der Klinge für die Bräter.

Ritsch, ratsch mit dem scharfen Fleischermesser,

aufgespießt für viele Esser.

»Hätten's gern Mett oder gar von der Sülze, werte Dame?«

Für mich war von der Pike bis zur Haxe alles schon im Vaterplane.

Doch vielleicht erriet mein Vater auch mein heimliches Begehr,

und was ich im Innersten so sehnlichst ehr,

in meinem Blick, den er gewahr,

das Streben hin zum Schneiden gar,

nicht nur die Tiere von den fetten Weiden,

sondern der verrückte Wunsch, zum Menschen hin zu schneiden.

Im Jahr des Herrn um 1906, so wollte er entscheiden,

sollte ich die Königsberger Luft fortan vermeiden.

Hin zu meinem Onkel hat er mich geschickt,

nach Hamburg, wo ich das erste Mal das Elbgestade hab erblickt.

Meine Mutter lange tot, den Brief von Vater in der Hand,

so kam ich in das deutsche Land.

Zu Onkel Gustav, der nicht schlechte hat geguckt auf mich,

und Vaters Brief gelesen hat, so scheint es, ewiglich.

Mir eine Schelle hat gegeben,

aber immerhin auch Obdach für mein vorerst Leben.

Ich hab nie erfahren, was in Vaters Briefe stand,

denn Onkel Gustav war so allerhand,

doch niemals ein geschwätziger Gesell,

vielleicht war er vom Kopfe her auch nicht sehr hell.

Aber ich muss ihm wohl zugutehalten,

er hatte mich ganz recht verwalten.

Hat nicht einmal das Schlachtermesser mir entzogen,

in dieser Hinsicht war er mir gewogen.

Doch freilich: Ständig hörte ich das Singen meines Messers,

in Königsberg und auch an den Staden uns'res Elbgewässers:

Schneide, steche, haue in das Fleisch, durch Fett und Sehnen,

erst dann erwartet dich das Wohlergehen.

Ich wusste ja, dass es war falsch, denn das Schneiden geht nicht ohne Tod,

doch bei Manie ist es so, dass man es machen muss, auch trotz moralischem Verbot.

So hatt' ich um der Stimme Willen schon damals mit mir selbst beraten,

mich abzusondern von der Masse, sonst hätt' man mich gefürchtet oder an den Schutzmann gleich verraten.

Doch hätt ich nicht geahnt, dass ich in Hamburg weitere Verrückte finde,

deren Fassung lief mit äußerst schräg gestelltem Hirngewinde.

Was wär passiert, hätt' ich die Swartgaardisten nicht gefunden?

Hätte Ottokar es nicht geschafft, die verrückten Ecken abzurunden?

Ob ich sie anzog oder sie mich,

es war wie ein Magnet für sich,

dass ich einst Ottokar, den Frommen,

in der Hansestadt gewahr, bevor die Sahne war geronnen.

Ottokar war Anführer der Swarten Gaard,

die den Bruderkrieg ausfechten würde,

gegen Graustauber mit kampfeswut'ger Tat,

auch wenn es für Otto, dem Pazifisten, war die allergrößte Bürde.

Keine Seite konnte von der ander'n lassen,

und doch konnte keine Seite die andere so richtig hassen.

Es war bei beiden Banden doch ein ganz zwiegespalt'nes Treiben,

und ein ständig aneinander Reiben.

Auch wenn ich nicht dabei war, bei jedwedem Geschehen,

so habe ich mir meinen Reim gemacht, wie die Dinge liefen, hätt ich sie nur selbst mit angesehen.

Anlass im Jahr 1906 war der Tod des heil'gen Stefanus,

der Letzte der alten Generation und dessen Tod riss alle aus untätigem Verdruss.

Mit seinem Tod kam der Stein des Krieges schnell ins Rollen,

drum will ich mit diesem Teil auch beginnen und dem Stefanus Tribute zollen.

Auch dabei ist Sigismund, die grau' Maschin',

ein Held Horatio's, der sich selbst an diesen hat verlieh'n.


Dudziak ab.


Kapitel 2 - Die Beerdigung und das Erbe des Stefanus


Eine trauernde Gemeinde, in der Kirche der Graustauber versammelt. Vorne im Sarg der heilige Stefanus aufgebahrt, die Trauernden auf den Bänken. Der Pfarrer redet auf dem Katheder. Im Hintergrund Orgelmusik und auf der Empore Sigismund mit Schnäuzer und Pfeife, der die Orgel spielt.


SIGISMUND: Das Orgelpedal fest durchgedrückt,

mit schlankem Pfaffenfuße,

der einstmals hat befreit und nicht erdrückt,

und nun die Orgel spielt zu aller Buße.

Der Rauch soll aus den Pfeifen quetschen, und Melodie gibt einen Kuss,

für euch Trauernde dort unten,

die ihr einstmals wart mit ihm verbunden.

ein Abschiedskuss von unsrem Stefanus.

Doch wenn ihr wissen würdet, wie wir walten,

wie wir hier zum Vorteil schalten,

mit verrückten Zungen über Hamburg lecken,

und uns're Köpfe krummgewachsen aus dem Erdreich stecken.

Würdet ihr nicht trauern, sondern rennen,

und euer Trauerkleid gleich mit verbrennen.

Denn mit diesem Tod beginnt der Krieg,

und hört, wie ich hier spiele unser Heldenlied.

Der Krieg zwischen Graustaubern und den Swartgaardisten,

die in jeder Generation die Flagge hin zum Kriege hissten.

Niemals wurdet ihr gewahr,

wie auch Stefanus unser Mitglied war.

Gesegnet mit Finanzen,

sein ganzes Geld hat nicht gepasst in drei der Ranzen.

Und nun sitzt die Hälfte von euch nur noch hier,

um hinter Schleier zu verstecken eig'ne Gier.

Doch spiel ich nicht, um euch hier bang zu machen,

um euch zum Weinen zu bringen oder Lachen.

Ob euch Junge oder auch euch Greise,

es geht einzig darum, dass ich Stefanus die letzte Ehr erweise.

Denn mit Stefanus' Gold und den Dukaten,

können wir endlich alles für Waffen und den Krieg verbraten.

Werft ab die salz'gen Tränen, bevor es ist zu spät,

denn ehe noch das Jahr vergeht,

wird der letzte Bruderkrieg mit seinem Geld gefochten,

und euch, euch wird der Zopf einmal um den Hals geflochten.

Denn dies sagte Stefanus mir noch im Sterben:

»Sigismund, sie sollen werden,

ganz blass, wenn du von mir berichtest.

Denn ich war bei euch nicht schlecht gesichtet.

»Fürdehyn in Freyheyt«, wir beide kennen diesen Spuk der Swarten Gaard,

diesen Spruch, in den sie sind so fürchterlich vernarrt.

Enden muss dies' alte Leiden.

Nur leider ohne mich, ich kann es nicht vermeiden.

Kann nur geben meinen letzten Taler.«

Ja, der Stefanus, genau so war er.

Generös bis in die Wurzel,

so, und nun schlagt mir mal des Baumes Purzel.

Der Stefanus hat all sein Geld uns Graustaubern vermacht,

und dabei innerlich euch ganz verlacht.

Denn er wär sich nicht zu schade,

zu scheißen auf das Andenken und das eig'ne Grabe.


Das Orgelspiel steigert sich zu einem stampfenden Stakkato. Unten hören die Trauernden entgeistert Sigismunds Rede zu. Der Pfarrer wendet sich wütend zur Empore.


PFARRER: Niemals hat hier jemand Gleiches mal gewagt,

Sigismund, wir hatten doch mal einen trefflichen Vertrag.

Du sollst nur die Pedalen drücken,

uns mit deinen Pfeifenkolben ganz entzücken.

Wer bist du, dass du Reden schwingst?

In meiner Kirche wie die Lerche singst?

Stefanus bitten wir hier zur Ruh,

um Gottes Willen: Halt doch mal dein Fressbrett zu!


Das Orgelspiel endet abrupt. Sigismund geht über eine Treppe zu den Trauernden hinab und wirft den Pfarrer vom Katheder.


SIGISMUND: Du bist auch einer dieser saublöden Pfaffen,

wie du mit Gewand und Zier einherstolzierst wie junge Laffen.

Hast noch nicht einmal ein Weib gebumst,

bist auch nie auf's eig'ne Ärschelein geplumpst.

Was weißt denn du schon von dem Leben,

von unser aller Leid und praktisch Streben?

Ich, ich hab es mir so hingebaut,

hab immer doch dem Volke auf das Maul hingeschaut.

Drum kann nur ich hier oben richten,

dort unten bei den Trauernden, dort sollte man dich sichten.

PFARRER: Ich steh hier mit des Doktors Segen.

SIGISMUND: Das nenn ich allerdings verwegen.

Ist er doch unten im Keller noch,

brütet dort in seinem Loch.

Über Theoreme und begründeten Axiomen,

hat in seinem Kopf vermessen, alle Distanzen und Äonen.

Glaubst du, er kriegt hiervon noch viel mit?

Oder ist das Praktische nicht eher mein Beritt?

Wenn ich dich am Kragen packe,

und dich steck in einen Rübensacke.

Dich schleife über das Portal,

hinaus aus dem Kirchenschiff, und zwar horizontal?

PFARRER: Das werde ich dem Doktor melden,

wie du hier spielst den Maulhelden.

Das steht nicht in unserem Vertrage.

SIGISMUND: Aber, aber: Nicht verzage,

ich schwinge nur mein bescheid'nes Redchen,

und hab eine Frage gestellt, die Frage eines Gretchen.

Nur die Antwort, scheint mir, liegt bei dir im Argen,

vielleicht ist es aber so, dass die Antworten deine Träume plagen.

Ist dein Leben hier nicht redlich?

Und doch verbirgt es dein Gewissen ganz vergeblich:

Wenn alles hier so unverdient erscheint,

ist es doch dein Wesen, was sich selbst verneint.

Und ich sehe das mit großen Augen,

auch, ob du und alle Leute hier was taugen.

SIGISMUND (an die Menge gewandt): Ein Beispiel sei Stefanus Tode nur,

denn echte Trauer nehm ich wahr wie eine ätzende Gravur.

Eine Sache hab ich nicht gesehen,

weder im Sitzen bei der Orgel, noch hier unten ganz im Stehen.

Diese Sache fehlt hier heute,

es ist aller Trauer fette Beute:

Die lieben salz'gen Tränen will ich sehen,

wie sie an euren Backen runterlaufen und vergehen.

Ein diebisches Vergnügen, ihr versteht,

herauszufinden, welche Träne nur aus Wasser, und welche auch aus Trauer gar besteht.


Die Menge blickt Sigismund versteinert an.


SIGISMUND: Nun? was ist?

Oder seid ihr alle hier mit Hinterlist?

Der Stefanus sollte euch so sehen.

Keine einzige der Tränen ist geschehen.

Nicht mal eine der Gespielten,

die sich in Gesellschaft recht verhielten.

Wer von euch, der kannte wirklich ihn?

Hebe jetzt die Hand von ihm.


Keiner der Trauergäste traut sich, den Arm zu heben.


SIGISMUND: Dann ab aus diesem ehrlich Haus,

ihr bleibt so arm wie eine Kirchenmaus.

Für euch gibt's heute nichts zu holen,

der wack're Stefanus hat es uns so anbefohlen.


Sigismund zieht seine Hose aus und streckt ihnen den Arsch entgegen. Die Menge geht empört murmelnd ab. Aber auch zu ängstlich, um das Wort zu erheben.


SIGISMUND (nun zum Pfarrer gewandt): Nun zu euch, mein liebster Pfaffe,

riecht ihr es nicht in der Luft? Die Schwingungen im Äther?

Mir scheint, es ist ab jetzt nur noch ein kleiner Meter,

dass jemand - vielleicht gar ich? - den Bruderkrieg entfache.

Geht zurück in eure warme Kammer,

ihr wisst so gut wie ich, ihr dürft beim Doktor bleiben, egal wie groß ist mein Gejammer.

Haltet euch im Schutz und gut verbaut,

so dass euch niemand auf die Rübe haut.

Denn Tod wird sein auf Hamburgs Straßen,

der Stefanus, der hat's ganz gut vermaßen.

Zu sterben jetzt, wo Frieden eingekehrt,

bevor der Krieg ihn mehr belehrt.

Muss nun zum Doktor, meinem zweiten Meister,

zumindest heute, Pfarrer, genug der Geister.

Und verzeiht mein' Undank, den Mangel an Respekt,

hab doch zu viel von reiner Wahrheit mir hier angeleckt.

Ein Geheimnis unter uns, doch erzählt es nicht gar weiter,

selbst der Doktor steht doch nicht ganz oben auf der meinen Leiter.

Denn der wahre Maestro, das ist nur einer in diesem mist'gen Haufen:

Der zweite Friedrich von den Staufen.