Die Hutzeltante und der sprechende Uhu

Ein Sommertag im August. Es weht ein laues Lüftchen. Tante Agathe, gestandene 93 Jahre alt, hat zu einem Fußballspiel auf ihrem Anwesen geladen. Äußerst missmutig bist du der Einladung gefolgt. Aber als ihr einziger Neffe hast du Großes zu erwarten. Dein Mund wird ganz wässrig, wenn du an deine finanzielle Zukunft denkst. Der Familienschatz und damit dein Erbe dürfte legendär ausfallen. Nun, als du das Anwesen und seinen bedrückenden Schatten erreichst, siehst du Tante Agathe bereits von weitem. Vornübergebeugt, mit knorriger Haut und Habichtaugen steht sie am Torpfosten und dabei kommt sie dir irgendwie hutzeliger vor als sonst. Ihr Blick ist böse, verbittert, wie der deine. Ihr habt euch nicht viel zu sagen. Dein Gesicht gefriert zu einer eisigen Mimik, während du anhand ihrer Hutzeln versuchst, abzuschätzen, wieviele Sommertage du noch fußballspielend verschwenden musst. Tante Agathe weiß, warum du hier bist. Und sie lässt es dich spüren. Ein Nichtsnutz seist du, beschränkt, faul und ganz und gar unwürdig, ihr Erbe anzutreten. Du willst dich in dein Schicksal ergeben, beißt die Zähne noch mal ganz fest zusammen. Doch dann, wie wird dir? Fußballfieber liegt in der Luft. Ein Ehrgeiz, der sich hinter jahrelangem Phlegmatismus verborgen gehalten hatte, bricht plötzlich und unerwartet hervor. Vielleicht waren es auch Tante Agathes gehässige Worte, vielleicht auch der Frust, dass du keine anderen Spielkameraden außer deiner alten Hutzeltante hast. Das Spiel beginnt. Deine Beine fühlen sich an, als könntest du was reißen. Heut mach ich dich fertig, denkst du dir und schießt Tor um Tor. Tante Agathe, hilflos zwischen den Pfosten, wirkt frustriert. Mit erstaunlicher Kraft schießt sie den Ball, den du eben noch im Tor versenkt hattest, in ein nahegelegenes Gebüsch.

"Das hast du doch mit Absicht gemacht", murmelst du. Selbst jetzt noch spürst du ihren bösen Blick im Rücken, als du dem Ball hinterherläufst. Und da war noch etwas anderes, was dir komisch vorkommt. Etwas Lauerndes, Unausgesprochenes, das sich hinter Tante Agathes steifem Lächeln und ihren falschen Zähnen verbarg. Du näherst dich dem Gestrüpp. Dabei wird dein Tritt immer langsamer, denn dich überkommt das unbestimmte Gefühl, als müsstest du gleich eine wichtige Entscheidung treffen. Du raufst dir die Haare. Immer diese verdammten Entscheidungen! Dennoch...